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Lichtenbergs Bürgerhaushalt wird schneller

Berliner Umschau |  20.02.2013

Von Martin Müller-Mertens
 
2005 war Lichtenberg ein echter Vorreiter – damals führte der Bezirk im Ostteil Berlins einen Bürgerhaushalt ein. Mittlerweile zog der Nachbarbezirk Marzahn-Hellersdorf nach, diverse Städte in Deutschland und anderen Staaten lassen ihre Einwohner inzwischen über einen Teil des Haushalts mitentscheiden. So gut die Idee, so gering jedoch bislang die Beteiligung. In Lichtenberg brachten sich von rund 267.000 Einwohnern gerade einmal 10.000 in den letzten Bürgerhaushalt ein. Trotzdem steht die Kommunalpolitik geschlossen hinter der Idee. Schnellere Umsetzung von Vorschlägen und ein neues Internetportal sollen nun die Bürger mobilisieren.
 
Rund 30 Millionen Euro hat Lichtenberg pro Jahr zur freien Verfügung. Auch wenn sich die Bürgervorschläge auf die gesamte Summe beziehen können – tatsächlich werden zumeist Ideen für einige Hunderttausend Euro umgesetzt. Doch die Summe sei nicht das Entscheidende, findet der Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), Rainer Bosse (Linke). "Das Wesentliche der Vorschläge ist, daß Bürger Einfluß auf die Verwaltung haben".
 
Zumindest Bosse sieht auch die Beteiligung durchaus positiv. Schon vor einigen Jahren, als sich etwa 4.000 Lichtenberger einbrachten, fand der heute 62jährige: "So viele Besucher hatte die BVV in ihrer ganzen Wahlperiode nicht". Immerhin sind Haushaltsdiskussionen eine komplizierte Angelegenheit; "nicht so, daß wir irgendwo eine gefüllte Schublade mit Geld haben", meint Bürgermeister Andreas Geisel (SPD). "Man muß auch überlegen, was man sich dann eben nicht leistet".
 
Tatsächlich liegen zwischen einer guten Idee und einem ausgefeilten Kommunalhaushalt mit finanziellen Schwerpunktsetzungen bei klammen Kassen oft Welten. Als Lichtenberg die Bürger vor einigen Jahren gebeten hat, ihre Vorschläge mit entsprechenden Einsparideen gegenzufinanzieren, wurde das schlicht ignoriert. Auch in Marzahn-Hellersdorf konnten letztes Jahr neben Ausgaben- auch Kürzungsvorschläge gemacht werden. Damals witzelte Bürgermeister Stefan Komoß (SPD) noch: hoffentlich wollen sich die Bürger nicht sein Bezirksamt sparen. Ganz so weit ging es nicht, doch tatsächlich gab es Ideen zur Personalreduzierung, oder einem faktischen Arbeitszwang für Hartz IV-Betroffene. Vor allem jedoch blieb die Zahl der Sparvorschläge weit hinter denen der Ausgaben-Ideen zurück.
 
Um in Lichtenberg künftig mehr Bürger für den Haushalt zu begeistern, sollen Vorschläge schneller umgesetzt werden. Bislang dauerte es wegen der in Berlin üblichen Doppelhaushalte oft zwei Jahre, bis aus der Idee tatsächlich eine Parkbank oder eine neue Gehwegplatte entsteht. Künftig wird ein Begleitgremium aus Bürgern, Bezirksamt und BVV mindestens alle drei Monate Vorschläge prüfen – und sie zum Teil sogar noch im laufenden Jahr verwirklichen. Die bestehenden Kiezfonds der 13 Stadtteile werden auf je 7.000 Euro aufgestockt – damit können häufiger kleinere Ausgaben vor Ort entschieden werden. "Diese Kiezfonds haben sich sehr bewährt", meint Geisel. Zudem hat Lichtenberg eine neue Internetseite eingerichtet, in der Vorschläge unkompliziert veröffentlicht oder von anderen Bürgern diskutiert werden können. Zwar schauen zwei Mitarbeiterinnen des Bezirks über die Einträge, doch aussortiert werden nur offensichtliche Spaß-Vorschläge, beteuert der 46jährige.
 
Auch von Sozialen Netzwerken verspricht sich der Bezirk Zugang zu "jungen Nutzern, die nicht auf Versammlungen gehen". Doch hier bleibt es vorerst bei der nicht gerade innovativen Möglichkeit, Vorschläge der Internetseite in eigenen Profilen zu teilen. Schade, finden Lichtenbergs Piraten. "Eine Diskussion bei Facebook wäre schön gewesen", so der Verordnete Helge Eichelberg. Allerdings laufen Facebook-Debatten auch Gefahr, zu "zerfasern", räumt der 25jährige ein.
 
Hohe Beteiligung und breite Diskussion könnten zudem verhindern, daß Haushaltsdebatten von Lobbys übernommen werden. Denn auf Bürgerversammlungen und in Online-Abstimmungen katapultieren organisierte Interessengruppen ihre Vorschläge schnell auf aussichtsreiche Plätze. In Lichtenberg wurde etwa die verstärkte Anschaffung vietnamesischsprachiger Bücher durch die Bibliothek beschlossen. In Marzahn-Hellersdorf sind unter den 5 bestplatzierten Vorschlägen der Internet-Wahl vier Sanierungs- und Bauvorhaben von Schulen. Dabei sollte ein Bürgerhaushalt eigentlich die Interessen aller Einwohner abbilden.
 
Problematisch ist zudem, daß viele Vorschläge in der BVV schlicht abgelehnt werden. Von 217 Ideen in Lichtenberg schafften es vergangenes Jahr nur 65 in die engere Auswahl, davon wurden 32 in den Fachausschüssen verworfen. Manch engagierter Bürger dürfte sich enttäuscht abwenden, wenn seine Initiative im Kommunalparlament geblockt wird. Eine Kritik, die Geisel allerdings nicht gelten lassen will. Bei vielen Ideen sei der Bezirk schlicht nicht zuständig. "Wenn ein Vorschlag kommt zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, ist das auch Demokratie, aber darüber hat die Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg nicht zu entscheiden."
 
Unterm Strich hat sich der Bürgerhaushalt jedoch bewährt – darüber ist sich Lichtenbergs Kommunalpolitik einig. Auch die Neuerungen wurden von sämtlichen BVV-Fraktionen getragen. "Transparent zu diskutieren ist eine Art, Legitimation der Vergabe öffentlicher Mittel zu erhöhen", findet Geisel. Lediglich die Verwaltung sei nicht immer ganz glücklich über das bürgerschaftliche Hineingerede, räumt er ein. Dort "gibt es manchmal Gegrummel".