Datum:26.09.2005
Ressort:Lokales
Autor:-
Seite:26p2
Das Volk verteilt Geld
Bürgerhaushalt in Lichtenberg: Investitionen für Kitas, Straßen und Grün
VON MARCEL GÄDING
LICHTENBERG. Im Kiez an der Dolgenseestraße lässt es sich gut leben. Alle Plattenbauwohnungen aus DDR-Zeiten sind saniert, in den Höfen gibt es gepflegte Grünanlagen und Spielplätze. Doch es fehlen Sitzbänke. "Vor allem für ältere Menschen ist das ein Problem", sagt Anwohnerin Karin Böhme. "Für Bänke könnte der Bezirk ruhig Geld ausgeben."
Dass er das auch tut, ist gar nicht so unwahrscheinlich. Seit Sonnabend können die Lichtenberger Bürger entscheiden, wofür 30 Millionen Euro im Jahr 2007 ausgegeben werden. Im Audimax der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege stellte Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich (Linkspartei.PDS) den so genannten Bürgerhaushalt vor - und Karin Böhme aus der Dolgenseestraße hörte aufmerksam zu. "Das ist eine tolle Sache", sagt die 62-Jährige. "Dabei ist mir schon klar, dass wir als Bürger keine Wunder vollbringen können."
Erstmals in der Geschichte Berlins dürfen die Bürger auf direktem Weg über öffentliches Geld entscheiden. Nach einer Testphase soll das Projekt auch auf andere Bezirke ausgedehnt werden. Vorab verschickte der Bezirk an 10000 Haushalte Fragebögen, 1420 davon kamen zurück. Die Verwaltung wollte wissen, wofür Geld ausgegeben werden soll. Das Ergebnis: Vorrangig soll in die Bereiche Gesundheitsförderung und in die Kinder- und Jugendarbeit investiert werden. Weniger wichtig sind den Befragten die Bibliotheken sowie die Angebote der Musikschule. Ein ähnliches Bild präsentierte sich am Sonnabend: Grünpflege, Straßensanierung und Investitionen in Kitas und Schulen stehen ganz oben auf der Wunschliste der Einwohner.
Längst ist der Lichtenberger Bürgerhaushalt kein Projekt des Bezirks mehr - inzwischen schaut man bundesweit auf den Ostbezirk. Neben der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege und der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer begleitet auch die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB den Bürgerhaushalt. "Es ist die erste großstädtische Kommune, die diesen Weg beschreitet", sagt BPB-Referentin Milena Mushak. "Allerdings ist der Haushalt für viele Menschen ein Buch mit sieben Siegeln." So richtig durchblickt haben am Sonnabend die rund 400 Lichtenberger noch nicht, was der Bezirk mit seinem Geld macht. Die eher trockenen und streckenweise langweiligen Reden von Bezirksverordneten ließen viele Zuhörer ratlos auf ihren Stühlen sitzen. Fachbegriffe wie "Investitionshaushalte" oder "Priorisierung" kennt der Normalbürger kaum.
Die Bezirksbürgermeisterin kann das nachvollziehen und spricht deshalb von einem Prozess, der jetzt beginnt. Sieben Mal werden Christina Emmrich und ihre Mitarbeiter in den nächsten Monaten durch die Stadtteile ziehen und vor Ort die Anwohner befragen. Parallel dazu kann man im Internet Ideen einreichen. Spätestens im Mai soll ein Papier fertig sein, dass Vorschläge aus allen Ortsteilen enthält. Am Ende entscheiden dann die 55 Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Die verpflichteten sich am Sonnabend schriftlich, die Vorschläge der Bürger zu berücksichtigen. "Zu jedem abgelehnten Vorschlag werden wir öffentlich Rede und Antwort stehen", heißt es der von allen Parteien getragenen Erklärung.
Der Bürgerhaushalt im Internet:
www.buergerhaushalt-lichtenberg.de
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2005/0926/loka…